Linux in München: Berater empfehlen Ausstieg aus LiMux auf Raten
Accenture hat der Stadt München ein 450-Seiten starkes Gutachten zur IT-Leistungsfähigkeit der Verwaltung übergeben. Die Unternehmensberater raten dazu, als Alternative zu LiMux einen „leistungsfähigen Windows-Client“ einzuführen.
Das Beratungshaus Accenture legt der Stadt München nahe, sich in mehreren Stufen wieder von Linux auf den Computern ihrer Verwaltung zu verabschieden und zu Microsoft-Produkten zurückzukehren. In einem rund 450 seitigen, am Mittwoch im Stadtrat erstmals besprochenen Gutachten regen die Strategen ein grundlegendes IT-Umsetzungsprojekt an, um „Altlasten in der Infrastruktur zu beseitigen sowie einen leistungsfähigen Windows-Client und die dazugehörigen Basisdienste einzuführen“. Dabei sollte die „im Markt verbreitete MS Office Suite als Standard bereitgestellt werden“.
Die Referate und Eigenbetriebe sollen die Wahl haben, welches Betriebssystem und welche Bürokommunikation „für ihren Einsatzbereich die passende ist“. Jede größere Verwaltungseinheit könnte damit also selbst entscheiden, ob sie Microsoft oder Open-Source-Produkte verwenden möchte. „Abhängig von der Entwicklung der Verbreitung der Client-Varianten“ sollte den Experten nach zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden, „ob der Einsatz von Linux als Client-Betriebssystem weiterhin wirtschaftlich sinnvoll ist“.
Keine Zukunft für Linux
Die Kernempfehlungen zum Thema LiMux aus dem Gutachten, das der Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) beauftragte, liegen heise online vor. Sie lassen klar durchklingen, dass dem auf Linux basierenden Betriebssystem, das auf einem Großteil der rund 20.000 Behördenrechner läuft und im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, nach Ansicht der Berater in München nicht die Zukunft gehört.
LiMux – Linux in der Stadtverwaltung München
Linux-Betriebssystem für Kommunen
Als erste deutsche Großstadt stellte München die rund 15.000 städtischen Computer von Windows auf Linux um. Das Vorzeigeprojekt für Linux und Open Source in der Stadtverwaltung war lange umstritten, besonders Microsoft machte intensive Lobby-Arbeit dagegen. Auch nach der Einführung geriet LiMux immer wieder unter Beschuss.
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Die Frage, ob sich anfangs ein Doppelbetrieb des Open-Source-Clients und einer proprietären Microsoft-Variante überhaupt rentiert, stellt sich für die Verfasser offenbar genauso wenig wie die nach den Kosten einer Remigration auf Windows und das zugehörige Office-Paket der Redmonder. Sie taxieren nur pauschal die Ausgaben für das Architektur- und Client-Programm auf 18,9 Millionen Euro.
Öffentlich gemacht hat die Stadt bisher nicht das rund 450 Seiten umfassende Gutachten selbst, sondern nur eine Ergebnisbeschreibung aus Sicht der Abteilung zu Fragen von Strategie, Steuerung und Kontrolle der IT (Strac) im Rathaus. Demnach raten die extern Beauftragten „punktuelle Verbesserungen beim LiMux-Client“ mit rascheren Updates und einen „vollständigen Neuaufbau beim Windows-Client“ für die derzeit knapp 4200 damit arbeitenden Rechner an. Für die nächsten Jahre bleibe so der Einsatz beider Alternativen erforderlich.
Strategie für ein Betriebssystem
Der Stadtkämmerei geht der Vorschlag der Berater nicht weit genug. Aus Sicht der Haushaltsabteilung „wäre es insbesondere im Hinblick auf die Ressourcensituation in der IT dringend erforderlich, bereits jetzt zu prüfen, ob es für die Landeshauptstadt München mittel- bis langfristig überhaupt leistbar und sinnvoll ist, zwei unterschiedliche Betriebssysteme in gleicher Qualität vorzuhalten“. Windows-Clients seien in vielen Bereichen „zwingend erforderlich“, LiMux dagegen nicht. Eine Strategie für ein Betriebssystem sollte daher schnellstmöglich entworfen werden. Die Strac-Experten geben zu hier vor allem zu bedenken, dass es fast zehn Jahre gedauert habe, bis LiMux eingeführt gewesen sei: „Die Ablösung wird sicherlich ebenso eine erhebliche Zeit benötigen.“
Am heftigsten wettert das Personal- und Organisationsreferat (POR) in einer Stellungnahme von Mitte September über LiMux. Der Client habe „in Verbindung mit aktuelleren Libre-Office-Versionen zwar eine Produktreife erlangt, die einigermaßen vernünftiges Arbeiten ermögliche“, heißt es in dem Schreiben. Trotzdem bleibe dieser „weit hinter den aktuellen technischen Möglichkeiten etablierter Standard-Lösungen“ Microsofts zurück. Auch zehn Jahre nach Beginn der LiMux-Migration hätten sich die Referatsmitarbeiter insbesondere nicht an Libre Office gewöhnt, „vielmehr haben sich Frustration und auch Resignation verfestigt“.
Unsichere Open-Source-Software
Da nicht alle Fachverfahren unter Linux lauffähig seien, würden häufig teils an einem Arbeitsplatz auch Windows und Microsoft Office benötigt, bemängeln die Personaler weiter. Es müssten Kenntnisse für beide Systeme vorgehalten werden, dazu kämen Probleme mit der Interoperabilität etwa beim Datenaustausch. Das SAP-Bescheinigungswesen sei beispielsweise mit LiMux nicht kompatibel. Open-Source-Produkte seien auch nur „bedingt oder gar nicht barrierefrei“, ihre Sicherheit sei „in weiten Teilen nur theoretischer Natur“.
Insgesamt hält das POR LiMux mit seinen verschiedensten Modulen für „nicht zukunftssicher“. Letztlich sei die Verwaltung auch nicht unabhängiger von Microsoft, Oracle oder SAP geworden, da viele Anforderungen nur durch deren Produkte abgedeckt werden könnten. Auf nach wie vor bestehende Probleme im Umgang mit LiMux verweist auch das Referat für Arbeit und Wirtschaft. Viele andere Verwaltungsabteilungen erwähnen das Thema Betriebssystem in ihren Stellungnahmen dagegen gar nicht.
Kritik an Berater
Matthias Kirschner, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), beklagte gegenüber dem Online-Magazin „Tech Republic“, dass die Gutachter sich anscheinend von vornherein von der Option haben leiten ließen, „LiMux loszuwerden“. Es wäre „traurig“, wenn der Stadtrat dem folgen würde, zumal die Kosten für Anschaffung und Betrieb Windows-10-kompatibler Computer noch völlig offen seien. Ein solcher Schritt würde auch zeigen, wie schwer es öffentlichen Verwaltungen falle, sich aus den Armen der Redmonder zu befreien.
Kirschner verwies darauf, dass Accenture mit Microsoft das Gemeinschaftsprojekt Avanade betreibe und solche Beziehungen problematisch seien. Wie die Berater meint aber auch er, dass generell mehr Plattform-unabhängige IT-Projekte entwickelt werden müssten.
Die Mitglieder des für Personal, Verwaltung und IT zuständigen Stadtratausschusses vertagten nach ihrer gestrigen Sitzung die weitere Beratung des Gutachten und der dazu eingegangenen Positionen der einzelnen Referate auf Januar. (anw)